Nachdenkliches

Vatikan (23.10.1995)

Es ist ja allgemein bekannt,
dass nur in einem kleinen Land,
wenn sich die Sonne talwärts neigt,
nie die Geburtenrate steigt.
Da es hier keine Frauen gibt
sind Priester auch nicht oft verliebt.
Entgegen religiöser Lehre,
dass man stets fruchtbar sei, sich mehre
müsste das Gesetz hier sein:
Seid unfruchtbar und bleibt allein.
Die Frage lautet doch: Wieso
ist das hier nicht wie anderswo?
Das weiß niemand genau zu sagen,
doch wie war das vor ein paar Tagen?
Da hat der Papst doch zugegeben,
dass Darwins Theorie vom Leben
ihm nicht ganz abwegig erscheint
und er sie nicht mehr strikt verneint.
Warum der Zölibat ihm nicht
in Sinn und Logik widerspricht,
d’rauf kann ich keine Antwort geben –
zumindest nicht in diesem Leben.

Das ist’s, warum im Vatikan
nie jemand Vati werden kann.

Neue Wege (13.01.2000)

Die Tage fliegen schnell vorüber
wie Vögel, die nach Süden zieh’n,
sie finden sich im Warmen wieder,
doch wo führt mich mein Weg wohl hin?

Im Kopf ein fester Siegeswille,
vor Augen stets das große Ziel –
bringt es mir die ersehnte Stille
oder womöglich nicht so viel?

Die Angst, die mich davor beschleicht,
dass diese Zeit zu Ende geht,
erklärt sich daraus, dass vielleicht
am Ende auch ein Anfang steht.

Kein Wunder (18.07.2003)

Der Nasenflügel kann nicht fliegen,
der Zahnhals nie Bronchitis kriegen.
An Schilddrüsen hängt nie ein Schild,
an Fingernägeln nie ein Bild.
Mit Anstrengung und irgendwie
da wird man aber trotzdem nie
das Augenli(e)d gesungen hören,
das Trommelfell beim Trommeln stören.
Das Nasenbein wird niemals stehen,
der Kinnladen nie pleite gehen.

Wenn das so ist, wen wundert’s dann,
dass manches Hirn nicht denken kann?

Der feine Unterschied (01.10.2004)

Du sagst, du wärest stolz auf mich,
wär ich wie Nietzsches Friederich;
es würde dir auch schon genügen,
hätt’ ich ein paar von Einsteins Zügen,
dann könnte man mit mir mal eben
in geistig hohen Sphären schweben.
Ein Traum – meinst du – wär ich doch bloß
wie Beethoven so virtuos.
Auch wie Picasso und Vermeer
zu malen fällt mir viel zu schwer.

Und würd’ es dich noch so berauschen,
möcht’ ich doch nicht mit denen tauschen.
Denn einen Vorteil hab’ ich doch:
die sind schon tot – ich lebe noch!

Appell (20.01.2020)

Vor weniger als neunzig Jahren,
als uns’re Opas Kinder waren,
erklärten rechte Demagogen
wütend, mordend und verlogen,
dass wenn man ihren Weg mitgehe
bald Deutschland über allem stehe.

Dass Hass, Gewalt und Hinterlist
der falsche Weg zum Wohlstand ist
bewiesen diese Idioten
auf Kosten von Millionen Toten.
Doch nach dem Krieg war’s dann soweit:
Mit Freiheit, Recht und Einigkeit
und einem Volk als Souverän
soll so etwas nie mehr gescheh’n.

Und doch ist die Demokratie
gerade jetzt fragil wie nie.
Für viele heißt es heute schlicht:
Wir sind das Volk – IHR seid es nicht!
Das Einzige, was uns noch eint
ist ein abstrakt-zentraler Feind;
er wird, denn er ist unbekannt,
zur Einfachheit nur „Die“ genannt.

So werden dann nach Herzenslust
dem Ziel des deutschen Volkes Frust
fast täglich all die lächerlichen
Politparolen angeglichen:
Mal ist der typisch adipöse
Rindfleischkonsument der Böse,
mal Dieselfahrer, mal die Syrer
das rote Tuch der Volksverführer,
mal Gutmenschen, mal Gretalein –
im Hass muss man flexibel sein!

Die Lüge scheint inzwischen schon
ein Teil zu sein vom neuen Ton,
der jetzt die Politik bestimmt
von jedem, der sich wichtig nimmt.
Moral ist out und Anstand Schwäche,
wer ehrlich bleibt bezahlt die Zeche,
und Wahrheit wird – geschichtsvergessen –
nur noch in Dezibel gemessen.

Ist das die Welt, die wir erstreben,
für uns und uns’rer Kinder Leben?
Ist es nicht langsam mal genug
mit Missgunst, Hass und Selbstbezug?
Wir können all das überwinden
sobald wir zueinander finden,
wenn jeder sich zu dem bekennt
was uns vereint, nicht was uns trennt.
Fangt an, denn es ist wie ihr seht
zwar höchste Zeit, doch nicht zu spät!

Schlussfolgerung (02.02.2022)

Wenn jeder Regenschirm sich biegt
und ungehemmt nach oben fliegt;
wenn Mülltonnen sich jäh entleeren,
als wenn sie sturzbetrunken wären;
und wenn des Nachbars Gartentür
im Garten liegt – und zwar bei mir;
wenn Ziegel von den Dächern fallen,
die Türen ganz von selbst zuknallen,
als Derwisch tanzt der Wetterhahn,
dann ist’s vermutlich ein Orkan.